Ausgerechnet der reichste Mann im Parlament hat die Revolution in Armenien unbeschadet überstanden. Jetzt gerät er unter Druck.
Text und Fotos: Eva Hoffmann Mitarbeit: Aren Melikyan und Samson Martirosyan
Gagik Tsarukyan sei ein Mann, der Tiere liebt. In seinem Privatzoo halte er weiße Löwen. „Tsarukyan kümmert sich gut um seine Tiere“, sagt Tsarukyan über sich selbst.
Das Video könne deshalb nicht aus seinem Privatzoo stammen: ein Esel, der nach zwei Junglöwen austritt, die versuchen, sich in seinem Fleisch festzubeißen. Die Menge vor dem Käfig, die johlend die Raubtiere anfeuert. Die Schüsse, die den Esel von außerhalb des Käfigs treffen, nachdem das Tier die Angriffe immer wieder abwehren konnte.
Die Löwen im Video sind braun, es müsse sich um einen anderen Privatzoo handeln, behauptet Tsarukyan. Zum Beispiel um den des ehemaligen Militärchefs Manvel Grigoryan. Oder den des ehemaligen Premierministers Ovik Abramyan. Seine Vorliebe für ungewöhnliche Statussymbole teilt Tsarukyan mit diesen Männern. Das Attribut „ehemalig“ teilen sie nicht.
Seit der Revolution im Frühling 2018 wird gegen die alte Führungsriege Armeniens ermittelt. Nicht aus Gründen des Tierschutzes, sondern wegen Steuerhinterziehung, Veruntreuung von Staatsgeldern und Machtmissbrauch. Die Regierung stürzen, Oligarchie abschaffen – das war das Ziel der Bewegung, die als samtene Revolution in die Geschichte des kleinsten Landes auf dem Kaukasus eingehen wird. Samten, weil tausende Armenier wochenlang die Straßen der Republik blockierten und so den Präsidenten Sersh Sargsyan zum Rücktritt zwangen. Mit ihm gingen die reichsten und mächtigsten Männer des Landes vor Gericht oder ins Exil. Nur Gagik Tsarukyan, Armwrestling-Star, Multimillionär und Hobby-Löwenzüchter, ist noch immer da.
König, Anführer, Löwe nennen ihn die Menschen auf dem Land. Ein Self-Made-Man, Christ und Familienvater. „Dodi Gago“, der Dumme Gagik, der Esel, nennen ihn die Intellektuellen in den Cafés der Hauptstadt. Ein Krimineller, der keinen geraden Satz herausbekäme und von sich selbst in der dritten Person spricht. Die einen werfen ihm vor, mit seinen Monopolen auf Zement und Flüssiggas das Land wirtschaftlich zu unterdrücken, andere loben sein soziales Engagement, Kirchen und Schulen zu finanzieren. Tsarukyan ist der Trump Armeniens: Er hat es geschafft, niemandem egal zu sein.
Weder ihn, noch seine Partei „Blühendes Armenien“ konnte die Revolution ernsthaft erschüttern. Aber sie hat einen Gedanken in die Köpfe der Armenier gepflanzt, der so schnell nicht mehr wegzudenken ist: es könnte alles anders sein.
Mit der Revolution wuchs das Selbstbewusstsein jener, die sich lange machtlos gefühlt hatten. An Gagik Tsarukyans Selbstbewusstsein hat sich nichts verändert. Er verhandelt weiter mit den Scheichs der Vereinigten Emirate, umgarnt Wladimir Putin und erscheint nur im Parlament, wenn Entscheidungen sein Unternehmen Multi Group betreffen könnten. Das mache ihn zum Oligarchen, sagt Hrant Mikaelyan, der am Kaukasusinstitut informelle Netzwerke in Armenien erforscht. Oligarch Tsarukyan sei ein Unternehmer, der seine wirtschaftliche Monopolstellung nutze, politische Entscheidungen zu beeinflussen.
Gagik Tsarukyans Erfolg ist tief verwoben mit der Geschichte eines Landes im Aufbruch und einer Gesellschaft, die sich selbst noch nicht sicher scheint, wie es ein Jahr nach der Revolution weitergehen soll. Für viele steht jedoch fest: Die samtene Revolution ist erst vollendet, wenn auch der letzte Oligarch seinen Posten im Parlament räumen muss.
Abovyan. Die Stadt des Löwen
Gagik Tsarukyan sei ein Mann der kleinen Leute, heißt es in Abovyan. Er habe hart gearbeitet für seinen Erfolg. „Tsarukyan ist kein Harvard Student. Das Leben war seine Schule“, sagt Tsarukyan.
Abovyan ist seine Stadt. Der Löwe ziert als Plastikattrappe die Vorgärten, in Gold hebt er sich von rotem Tuffstein an Schulen und Hotels ab. Zwei weiße Löwen aus Keramik flankieren die von Pappeln gesäumte Auffahrt zu seinem Anwesen, das mit goldener Kuppel über den 40.000 EinwohnerInnen thront. Das historische Kloster, die Kirche und die vergoldeten Telefone hinter den Mauern kennen die Nachbarn aus Kentron TV, Tsarukyans Priavtsender. Abovyan ist das Herz seines Imperiums. Der Mythos vom Aufsteiger liegt hier über der Stadt wie die dunstige Glocke aus Abgasen, die an klaren Tagen den Blick auf die nahen Berge vernebelt.
Hier wurde Gagik Tsarukyan vor 62 Jahren geboren. Hier lernte er in der Grundschule seine Frau Javahir kennen. Hier attestierten ihm Lehrer ein sportliches Talent. Von hier brach er 1975 in die Sowjet Armee auf und kam zwei Jahre später mit vielen Kontakten und wenig Militärerfahrung zurück. Für die Zeit zwischen seinem Uni-Abschluss 1989, der nie amtlich dokumentiert wurde, und seinem Europasieg im Armwrestling 1998, der in Wahrheit nur ein dritter Platz war, macht Tsarukyan in seinem Lebenslauf keine Angaben. In Abovyan sagt man, er habe das Familiengeschäft, ein paar Blumen-, Kleider- und Lebensmittelläden, mit aufgebaut. Die Zeit der Perestroika erlaubte auch in Armenien kleinere Privatunternehmen. In Jerewan sagen viele, Tsarukyan habe in den achtziger Jahren eine Haftstrafe im russischen Nizhny Tagil abbüßen müssen, wo ihm ein schweres Verbrechen während seines Wehrdienstes als Verkehrspolizist nachgesagt wird. Zu beiden Theorien äußert er sich nicht.
„Tsarukyan ist ein guter Mensch“, sagt Grigor R., 20. In seinem Laden voll Plastikgeschirr riecht es nach Weichmachern und Mittagessen. Die ersten zwei Jahre zahle er keine Miete. Ein Geschenk Tsarukyans, um die lokale Wirtschaft anzukurbeln. Vom gegenüberliegenden Bitcoin-Tempel und den Juwelierhallen strahlt der goldene Löwe. Eigentlich wollte der Zwanzigjährige sein Diplom abschließen. Dann kamen das Militär und dieser Laden dazwischen, ein Angebot, das man als junger Mann in Abovyan nicht ausschlagen könne, egal wie gut oder schlecht das Geschäft liefe. Ohne gefragt zu werden, zählt er auf, was Tsarukyan zu verdanken sei: die Johannes Kirche, die größte im Bundesstaat, Stipendien für Schüler der Region, zum Nulltarif mit Bussen in die Stadt. „Wir sind nicht verwandt“, fügt er schnell hinzu. Aber er sei sich sicher, beteuert er wieder, dass Tsarukyan ein guter Mensch sei.
Gagik Tsarukyans eigene Erfolgsgeschichte beginnt mit dem Ende der Sowjetunion. Sein Markenzeichen: weißer Anzug, weißer Rollkragenpullover, Post-Sowjetgangster Stil. Während der Staat versuchte, die Wirtschaft für private Investoren zu öffnen, florierte die Schattenwirtschaft. Ehemalige Militärs und Kleinunternehmer bauten ihre Unternehmen schneller aus, als der Staat das neue Konzept von Eigentum regulieren konnte. Tsarukyan lernte, sich mit den richtigen Leuten zur richtigen Zeit anzufreunden. Als Robert Kocharyan Ende der neunziger Jahre zum Präsidenten gewählt wurde, war Tsarukyan schon bestens mit dessen Bruder befreundet. Der Nachfolgende Präsident Serzh Sargsyan erhielt Zuwendungen in Form von Unternehmensanteilen. Steuerprüfungen blieben aus und niemand störte sich an Tsarukyans wirtschaftlichen Monopolen. Aus dem kleinen Familiengeschäft wurde Multi Group, darunter Tankstellen, Casinos, Hotels, Restaurants, Autohäuser, eine Brandyfabrik, Bierbrauereien, eine Weinmarke, Shoppingmalls, ein Wellnesscenter, Steinbrüche, eine Zementfabrik und 30 000 Arbeitsplätze.
„Wer für Tsarukyan arbeitet, arbeitet in ständiger Angst“, sagt Marianna L. Vier Tage hielt sie es im Grand Hotel Abovyan aus. 82 Zimmer. 122 Euro die Nacht. Ein halber Monatslohn in Armenien. In den goldbedeckten Hallen finden Sportevents und Wirtschaftskongresse statt. Danach lade der Hausherr seine Gäste ins gegenüberliegende Edelrestaurant „Pharaon“ ein, wo ägyptisch anmutende Ornamente und noch mehr Gold die Wände zieren. Mit hundert Dollar Startkapital könne man danach noch im Casino Shangri La die restlichen Spesen verzocken. Der Freizeitkomplex ist der größte des Landes. Eingestellt wurde Marianna, weil sie Chinesisch und Russisch spricht, wie die meisten Gäste. Und weil sie wie ein „typisches armenisches Mädchen“ aussehe, lange dunkle Locken, rote Kunstnägel, die Füße in Highheels. „Versteck dich irgendwo“, rieten ihr die Kollegen, als Tsarukyan an ihrem ersten Arbeitstag mit einer Delegation aus Bodyguards und Designern das Hotel besuchte. Sie kannte die Geschichte eines Kellners, der von Tsarukyans Sohn Nver geohrfeigt wurde, weil ihm die Blumendekoration in der Eingangshalle nicht passte. Aber Marianna versteckte sich nicht.
Als Tsarukyan die Eingangshalle betrat, sei sie überrascht gewesen, wie entspannt er wirkte, um ihn herum die Horde Bodyguards. Eine Cocktailbar sollte in die Halle installiert werden, dahin, wo gerade noch der Bechstein-Flügel stand. Der Architekt, ein schmächtiger Mann in zu großem Anzug, habe ihm davon abgeraten. Tsarukyan habe den Mann so lange angebrüllt, bis der die Bar in der Eingangshalle doch für eine gute Idee hielt. „Man sah ihm an, dass es ihm gefällt, seine Macht zu demonstrieren“, erinnert sich Marianna, „Er ist ein eiskalter Geschäftsmann, der genau weiß, was er will. Und wehe, jemand kommt ihm dabei in die Quere.“ Nimm uns mit, sagten ihre Arbeitskollegen, als Marianna kündigte. Aber sie blieben, weil es immerhin ein fester Job sei. Wenn man sie fragt, was sie von Tsarukyan halten, sagen sie, Tsarukyan sei ein Mann, der viel getan habe für die Region.
Ararat. Das Herz des Erfolgs
Gagik Tsarukyan sei der Grund, warum es den Menschen hier gut ginge, sagt man in Ararat. „Oligarchen sind die Stütze der Gesellschaft. Wenn Tsarukyan etwas tut, dann tut er es für die Allgemeinheit“, sagt Tsarukyan.
Um sieben Uhr morgens kommt der Bus und holt die Männer mit den zerfurchten Händen ab. Durch die Mondlandschaft, in der sie bei vierzig Grad in der Sonne oder bei Minusgraden im Schnee den hellen Stein für das Zementgemisch abbrechen, geht es zur Fabrik, die wie ein grauer Fremdkörper im weichen Grün der Hügel sitzt. Vahan ist einer von ihnen. Schon sein Großvater arbeitete hier, sein Vater und nun er selbst. Vahan, 32, der anders heißt, fährt manchmal auch mit dem Taxi zur Arbeit. Ein Geschenk Tsarukyans, der am „Tag der Fabrik“ Fernseher und Autos an besonders fleißige Arbeiter verschenkt. Vahan fährt aber auch nach seiner achtstündigen Schicht noch Taxi, weil er sich sonst die Zigaretten und das Bier am Abend nicht leisten könnte. Für Atemmasken, Schutzkleidung oder Sicherheitsschuhe reicht es genauso wenig. Rund 300 Euro verdient er im Monat. Das Doppelte bräuchte er, um seine Familie ohne Nebenjobs durchzubringen. Aber Ararat Zement ist der einzige Arbeitgeber der Region und deshalb bleibt Vahan: „Wenn ich diesen Job nicht hätte, müsste ich auswandern oder kriminell werden.“
Ararat ist eine Stadt, die ohne Tsarukyan nicht mehr existieren würde und die vielleicht wegen Tsarukyan bald nicht mehr existieren wird. In den neunziger Jahren wurde die Fabrik zum Hoffnungsträger der Region: 1500 Arbeitsplätze, genauso viele Kredite und Wohnungskäufe und hunderte Familien, die beschlossen, in der Provinz zu bleiben. Kleinere Bauunternehmen gaben es schnell auf, sich mit dem neuen Nachbarn und seinen kilometerlangen Förderbändern zu messen. Wer klug war, sicherte sich einen Job bei Ararat Zement, Teil der Multi Group. Hier brauchte man die Politiker aus der Hauptstadt nicht. Hier kam der „Anführer“, wie Vahan seinen Chef Tsarukyan nennt, noch persönlich am Tag der Arbeit in die Fabrik, verschenkte Autos und Fernseher an besonders fleißige Mitarbeiter. Ein großer Mann, der wisse, was kleine Leute brauchen.
Als der Brief im April Varhan erreicht, weiß es schon die ganze Stadt: 1200 Arbeiter sollen ihre Jobs verlieren. Sein blaues Samtshirt mit dem Kreuz auf der Brust spannt, wenn er vor Wut die Arme in die Luft reißt: „Einfach so! Nach sechzehn Jahren!“ Seine Kollegen auf dem Platz im Zentrum der Stadt, wo sie am Nachmittag nach der Arbeit zusammensitzen, beschwichtigen ihn. Varhan ist es jetzt egal, was die anderen von ihm denken. Er schimpft über den Alltag in der Fabrik, die Schläge während der Arbeit, die ständige Angst, beim kleinsten Fehler den Job zu verlieren und die maroden Sicherheitsstrukturen. Er erzählt von diesen drei Tagen im April, als die Förderbänder still standen: „Wir hatten keine Wahl, die ganze Stadt ist von diesen Jobs abhängig. Wir taten, was in Armenien schon bei der Revolution erfolgreich war: wir blockierten die Straßen und forderten unsere Rechte.“ Nach drei Tagen erschien Tsarukyan in der Fabrik, schüttelte Hände, klopfte auf Schultern und versicherte, er würde die Sache regeln, niemand müsse Angst haben. Bis heute weiß Varhan nicht, was das bedeutet. Aber er vertraut auf Tsarukyans Ehrlichkeit. Schließlich sei er keiner von diesen typischen Politikern, die nur reden. Auf Tsarukyan könne man sich verlassen. Und solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, fährt er weiter jeden Morgen mit dem Taxi zur staubigen Grube.
Jerewan. Die Kinder der Revolution
Gagik Tsarukyan sei kein Politiker wie jeder andere, sagt man in Jerewan. „Es gibt Leute, die lernen Reden auswendig […]. Lasst diese Leute zu Tsarukyan kommen und ihm erklären, was sie für dieses Land getan haben“, sagt Tsarukyan.
Mikayel Nahapetyan, 28, musste keine Reden auswendig lernen. Er wusste schon immer, was er will und wollte es in erster Linie für sich selbst: Ein Land, in dem es sich lohnt zu bleiben. Ein System, in dem seine Stimme etwas zählt. Ein Rechtsstaat, der funktioniert. Dafür musste die alte Regierung weg. Als sich 2013 die Preise für den öffentlichen Nahverkehr verdoppelten, ging Michael, der lieber geduzt werden will, mit ein paar Freunden aus der Uni auf die Straße. Sie blockierten Busse, Straßenbahnen und U-Bahnzugänge so lange, bis die Regierung die Entscheidung zurückzog. An Wahlen hatte Michael nie geglaubt, doch in diesem Sommer hatte er zum ersten Mal das Gefühl, etwas verändern zu können. Mehr und mehr Menschen dachten so wie er, die sozialen Medien wurden mächtiger und aus einem Freundeskreis wurde eine Bewegung.
„Citizen’s Decision“, Bürgerentscheid, nannte sich die Gruppe. Als Nikol Pashinyan durch das Land zog und für eine Blockade des Parlaments warb, schloss Michael sich an. Heute ist Pashinyan Präsident und Mikayels Bewegung eine Partei. Zwar die kleinste in der Nationalversammlung, dafür aber die größte Gefahr für den reichsten Mann im Parlament. Denn Michael hat die Forderung nicht vergessen, die er damals auf dem Platz der Republik auf Straßen, Plakate und Pappschilder schrieb: „Oligarchie abschaffen!“ Tatsächlich wurden innerhalb des vergangenen Jahres mehr als zwanzig Untersuchungsverfahren gegen ehemalige Regierungsmitglieder eingeleitet. Unternehmen müssen ihre Steuern seit Frühling 2018 offen legen und auch vom Wehrdienst können sich junge Menschen nicht mehr mit einem Bestechungsgeld freikaufen. Gagik Tsarukyan scheint den neuen Wind gespürt zu haben. Kurz vor dem Sturz der Regierung arrangierte er ein öffentliches Treffen mit dem neuen Shooting Star der Protestbewegung, Nikol Pashinyan. Er schüttelte Hände, klopfte auf Schultern und versicherte, sein Platz sei immer an der Seite des Volkes. Mikayel ahnte, dass der „dumme Gagik“ sich damit sehr klug in die armenische Zukunft gemogelt hat.
„Politisch ist Tsarukyan wie ein Fähnchen im Wind, das immer dahin weht, wo die Macht ist“, sagt er in seinem knallgrünen Büro am Rande der Stadt. Grün, weil das zwar abgedroschen aber noch immer Farbe der Hoffnung sei. Vielleicht habe er den „dummen Gagik“ unterschätzt. Der übertrug noch vor der Revolution Teile der Multi Group an enge Freunde und Familienmitglieder. Auf dem Papier habe er eine rein beratende Funktion. „Die Justiz lässt Tsarukyan in Ruhe, weil diejenigen, die von ihm abhängen, hinter ihm stehen“, glaubt Mikayel Nahapetyan. Allein Tsarukyans Chef-Bodyguard erreichte so viele Stimmen, wie die Bürgerbewegung insgesamt. 26 von 132 Sitzen konnte „Blühendes Armenien“ bei der ersten freien Wahl erreichen. Der Stuhl ihres Parteivorsitzenden ist meistens leer. Erst drei Mal nahm Tsarukyan an einer Sitzung im Parlament teil.
„Der Austausch mit unserem Parteivorstand ist sehr rege“, versichert seine jüngste Parteikollegin, Shake Isayan. Tsarukyan finanzierte der 28-Jährigen ihr Studium, danach arbeitete sie als Pressesprecherin der Multi Group und sitzt heute in einem holzvertäfelten Büro am Ende eines kafkaesken Ganges im Parlamentsgebäude. Für das Interview hat sie eine junge Frau hinzugezogen, die kontrolliert, ob richtig übersetzt wird. Isayan lächelt, selbst wenn sie wütend ist. „Die Angriffe gegen Tsarukyan sind eine fake Agenda“, sagt sie und tippelt mit ihren perfekten Nägeln auf die Tischplatte „andere Politiker haben auch Bars und Cafés in der Stadt und da fragt niemand nach ihrer Befangenheit.“ Zwischen einem Café und einem ganzen Wirtschaftsstrang mache sie da keinen Unterschied. „Unsere Partei steht für wirtschaftlichen Aufschwung und den hat Armenien dringend nötig“, sagt sie, es klingt, als hätte sie das schon sehr oft gegenüber Journalisten gesagt. Was genau sie an Tsarukyans politischen Ideen inspiriert, kann sie nicht sagen. Am Tag der Revolution sei sie auf der Straße gewesen, an der Seite derer, die sie schließlich gewählt haben. Bilder habe sie davon keine.
„Ich werde erst zurücktreten, wenn das Armenien meiner Träume Wirklichkeit wird“, erwidert Tsarukyan auf Anschuldigungen der Befangenheit in der Nationalversammlung. Doch der Tsarukyan, der sich ein Jahr nach der Revolution den Fragen der Medien stellt, tritt nicht mehr auf wie der starke Löwe. Die Krawatte sitzt zu locker um seinen faltigen Hals, sein Gesicht zeichnen tiefe Augenringe. Vielleicht weiß er, dass Michael Nahapetyan gerade Unterschriften für ein Gerichtsverfahren sammelt, das sein Unternehmen unter die Lupe nehmen wird. Vielleicht weiß er, dass sich die Arbeiter von Ararat nicht mit Geschenken ruhig stellen lassen. Vielleicht weiß er, dass die Proteste, die gerade in einer zweiten Welle das Land erschüttern und ein Durchgreifen der Justiz fordern, ihn als erstes betreffen werden. Und vielleicht ahnt er, dass es in diesem neuen Armenien nicht mehr reicht, von der Rolle des Löwen in die des Esels zu schlüpfen und den „Dummen Gagik“ zu mimen, um dem Volkszorn zu entgehen.
Die Geschichte hinter der Geschichte
Auf Instagram fand Eva ihren Protagonisten, der keiner sein wollte. Amüsiert vom Klischee, von Gold, Tigern und Post-Sowjet Charme, begab sie sich auf die Suche. Das Lachen verging ihr, als sie jene traf, die unter Gagik Tsarukyans pompösen Lebensstil direkt leiden. Und als sie merkte, dass sie ohne ihren „Fixer“ Aren ziemlich aufgeschmissen wäre. Der verbrüderte sich an ihrer Stelle mit Zementarbeitern, fand eine ehemalige Angestellte des Oligarchen und sagte der Autorin direkt ins Gesicht, wenn sie zu direkt nachfragte. Und mit jedem Tag und mit jedem Interview mehr, wich die Faszination für den Oligarchen einem Gefühl des Unwohlseins.