Armenien will das Silicon Valley des Kaukasus werden. Doch die Jugend verlässt ihre Heimat, auf der Suche nach Bildung und Arbeit. Das TUMO Center möchte ihnen eine Perspektive im eigenen Land bieten.
Von Anina Ritscher, Friederike Oertel und Luisa Willmann
Um vier Uhr nachmittags öffnet das TUMO Center Jerewan seine Pforten. Jugendliche aus der ganzen Stadt strömen durch die Glastüren, um nach Schulschluss zu lernen – freiwillig.
Im TUMO Center for Creative Technologies besuchen sie Kurse wie Animation, Game-Entwicklung und 3-D Modellierung. Sie arbeiten mit dem neuesten Filmequipment, an iMacs und im Tonstudio. Den Lehrplan gestalten sich die Schüler*innen selbst, je nach Lerntempo und Interessen. An mobilen Lernstationen erarbeiten sie sich den Stoff Level für Level – fast wie in einem Computerspiel.
Das TUMO möchte Jugendlichen eine Perspektive in der IT-Branche des Landes bieten. Und sie so vielleicht daran hindern, Armenien zu verlassen. Nach dem Ende der Sowjetunion sind 23 Prozent der Einwohner*innen ausgewandert. Nach der Finanzkrise 2008 mehrere Tausend. Vor allem junge Menschen. Die Revolution im vergangenen Jahr könnte diesen Trend umkehren, wenn sie eine berufliche Zukunft im Land sehen – zum Beispiel im IT-Sektor. Die Ausbildung ist für alle zwischen 12 und 18 Jahren kostenlos.
Gegründet wurde das TUMO Center 2011 von dem armenischen Ehepaar Sam und Silvia Simonian. Beide sind in Beirut in der Diaspora geboren und als Teenager in die Vereinigten Staaten geflohen. Dort verdiente Sam Simonian in den 90er-Jahren mit einem Softwareunternehmen ein Vermögen. Teile davon investierte er in sein Herkunftsland, ins TUMO.
Aber nicht nur das TUMO, die ganze armenische Wirtschaft ist abhängig von Investitionen und Überweisungen aus der Diaspora. 2017 betrug der Anteil der Rücküberweisungen 13,34 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Nur drei Millionen Armenier*innen leben im eigenen Land, weitere sieben Millionen außerhalb Armeniens, darunter viele Akademiker*innen. Sie fühlen sich mit Armenien verbunden, obwohl sie nie dort gelebt haben.
Auch das TUMO Center ist von ausländischen Unternehmen abhängig: Das zweite Stockwerk vermietet das TUMO Center an IT-Unternehmen wie Pixar und Google. Durch die Mieteinnahmen ist das Center zwar selbsttragend, doch Google und Pixar wird die Chance gegeben, den hochausgebildeten Nachwuchs abzuwerben. Manche TUMO-Alumni ziehen nach dem Programm eine Etage höher, zu einem der Konzerne.
Dabei galt Armenien in der Sowjetunion als das Silicon Valley der Region. Damals wurden 40 Prozent aller Computer der UdSSR in Armenien produziert. Heute wächst der IT-Sektor wieder – jährlich um zwanzig Prozent. Zu den wichtigsten IT Start-Ups gehört «ggTaxi», die armenische Version des online Taxidiensts «Uber». Und auch das TUMO wächst: Mittlerweile gibt es in sechs weiteren Städten einen Ableger. TUMO möchte Bildung für Alle ermöglichen. Doch die viel ärmere Landbevölkerung profitiert nur selten von dem Bildungsangebot in den Städten. Und bis vor Kurzem gab es allein für das Center in Jerewan eine Warteliste mit 5.000 Schüler*innen.
Inzwischen gibt es in Paris, Beirut und Tirana TUMO Center nach armenischem Vorbild. In Deutschland existiert kein derartiges Projekt. Doch nachdem Kanzlerin Angela Merkel im August 2018 Armenien besuchte, versprach Digital-Staatsministerin Dorothee Bär in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass TUMO oder etwas Vergleichbares auch in Deutschland entsteht.“