Ohne sie sind wir nichts

Transparenzinterviews mit zwei unserer Helfer*innen vor Ort

Aren Melikuyan ist Journalist und Multi­media­redakteur in Yerevan. Gelegentlich arbeitet er für die taz und andere internationale Medien als Auslandskorrespondent. Vielen von uns hat Aren nicht nur als Übersetzer, sondern auch mit seiner Expertise als Journalist weitergeholfen. Bei der Recherche über den letzten Oligarchen im armenischen Parlament war dieses Spannungsverhältnis manchmal ein Drahtseilakt.

Interview von Eva Hoffmann

Nachdem du so viele Kontakte für mich organisiert hast, vor Ort mit den Leuten für mich warm geworden bist und mir immer wieder eingeordnet hast, was ich herausgefunden habe – solltest nicht eigentlich du diese Geschichte aufschreiben?

Nein. Es war deine Idee, du wirst es schreiben und du wirst den Text produzieren. Diejenige, der die Idee gehört, ist die Autorin. Es wäre fair, wenn der Fixer auch genannt wird im Text. Nicht als Autor, aber als Fixer. Wir sind beide Journalisten und wir haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie wir zum Beispiel an Informationen kommen. Am Ende bist du die Initiatorin, aber ich muss die Informationen beschaffen. Hier liegt der Knackpunkt. Wir müssen als Team arbeiten, sonst wird das nichts.

Ehrlich gesagt hatten die meisten Fixer bei dieser Recherche mehr Ahnung von den Themen als wir selbst. Hat dich das genervt?

Als Fixer ist man darauf vorbereitet, dass die Person, mit der man zusammenarbeitet, nicht viel über das eigene Land weiß. Es gibt Dinge, die ausländische Journalisten aufgrund der Sprachbarriere nicht verstehen. Aber dafür sind wir als Fixer ja da. Es passiert häufig, dass die Stimmung einer Situation kippt und der Journalist zum Beispiel weiter Fotos macht, ohne das zu merken. Oder wenn der Gegenüber im Interview dir ins Gesicht lügt und die Journalistin nicht weiß, dass sie gerade angelogen wird. Soll ich da unterbrechen?

In der Zusammenarbeit mit mir gab es auch so eine Situation. Wir waren in der Shoppingmall eines Oligarchen, wo alle Angestellten von ihm abhängig sind. Die Stimmung war sehr seltsam, die Menschen wollten erst nicht wirklich mit uns reden.

Die Leute hatten Angst, das habe ich gleich gespürt. Es ist ein sensibles Thema für sie. Du konntest nicht wissen, wie tief diese Angst sitzt. Dadurch hast du freier drauf los gefragt. Das kann manchmal auch ein Vorteil sein. Es ist schwierig für mich als Fixer, den Hintergrund der Situation zu erklären, wenn wir mitten in einem Gespräch sind.

Umso wichtiger war es, dass wir dann nach dem Gespräch kurz geredet haben und ich beim nächsten Mal sensibler mit meinen Fragen war. Sind andere Auslandsjournalisten auch offen für Feedback?

Für eine gute Zusammenarbeit sollten wir uns nicht nur als Journalisten verstehen, sondern auch auf einer zwischenmenschlichen Ebene. Der Fixer sollte sich bewusst sein, dass die Geschichte mit seiner Arbeit steht und fällt. Aber der Journalist sollte auch offen für die Ideen seines Fixers sein und umdisponieren, wenn es nötig wird. Man sollte sich die Zusammenarbeit wie eine Mini-Redaktion vorstellen. Da geht es am Ende um das möglichst beste Produkt und nicht um das eigene Ego.

Ist deine Doppelfunktion als Fixer und Journalist ein Vorteil?

Fixer sein bedeutet für mich auch, Journalist zu sein. Ein Fixer muss ein guter Journalist sein, der viele Kontakte hat und versteht, wonach seine Kollegen suchen. Ein Übersetzter kann diesen Anforderungen nicht gerecht werden. Ich würde immer einen schlechten Übersetzer mit guten Kontakten einem guten Übersetzer ohne Kontakte vorziehen. Bei einem guten Fixer trifft natürlich beides zu.

Du arbeitest selbst als Korrespondent für die taz. Wozu brauchen wir überhaupt Auslandsreporter, die nur für kurze Zeit kommen und eigentlich wenig Ahnung vom Land haben?

Immer wenn ich mit Journalisten aus dem Ausland arbeite merke ich, dass auch mir Dinge entgehen. Als Mensch, der hier lebt, habe ich einen anderen Blick als jemand, der alles zum ersten Mal sieht. Auslandsreporter finden interessante Aspekte in Dingen, die für mich total alltäglich sind. Das inspiriert mich. Der Text über den Ararat hat mich zum Beispiel verwundert. Wenn du den jeden Tag siehst, vergisst du fast, dass er da ist. Dann kommt jemand aus einem anderen Land und sucht Geschichten über den Berg und plötzlich merkst du: Ach, das könnte eine interessante Geschichte werden. Da wäre ich aber nie im Leben selber drauf gekommen.

Wie arbeitest du als Korrespondent im eigenen Land im Gegensatz zu uns als kurzzeitige Besucher?

Ich gehe davon aus, dass die wenigsten etwas über Armenien wissen. Wenn ich über ein politisches Thema schreibe, könnte ich Jahrzehnte zurückgehen, um es zu erklären. Aber der europäische Leser würde sich langweilen. Ich muss deshalb auch wissen, was in Deutschland passiert und was die Deutschen interessieren könnte oder jedes andere Land, für das ich schreibe. Das ist für mich die größte Herausforderung. Aber mit der Zeit habe ich eine Routine entwickelt, was ausländische Redaktionen interessieren könnte.

Ich höre selten von ausländischen JournalistInnen, die in Deutschland einen Fixer suchen. Ist das Modell eine Einbahnstraße?

Wenn ich nach Deutschland fahren würde um dort zu berichten, stoße ich bei meiner online-Suche auf viel mehr Material als andersherum. Länder, über die viel berichtet wird, sind auch einfacher zu bereisen. Ich kann mich in Europa wesentlich schneller zurechtfinden als die meisten Europäer im Kaukasus. Ich war schon oft Berlin. Ich hatte aber auch schon mal eine Recherche in der Türkei, wo ich nicht mal alleine den Bus gefunden habe, weil ich keinen Fixer hatte. Dafür war einfach kein Budget da.

Im Rahmen der Recherche habt ihr 50 Euro am Tag bekommen. Ist das angebracht?

50 Euro am Tag ist nicht viel, ich habe schon wesentlich mehr bekommen. Aber Geld ist mir nicht so wichtig. Da kann ich nur für mich selber sprechen. Ich bin immer sehr enthusiastisch wenn es darum geht, anderen zu helfen. Als Fixer kannst du nicht reich werden und dafür mache ich das auch nicht. Ich will mich vor allem mit den anderen Kollegen austauschen und lerne von jeder Zusammenarbeit. Aber ausländische Journalisten sollten im Hinterkopf behalten, dass Journalisten in Armenien kaum etwas verdienen und ihre Honorare vielleicht dementsprechend anpassen.

Was sollten AuslandsjournalistInnen mitbringen, wenn sie nach Armenien kommen?

Zeit. Zwei Wochen sind viel zu kurz, um einen umfassende Eindruck zu bekommen wenn es komplexe Geschichten sind. Die Recherche vor der Reise ist das wichtigste. Man sollte sich dabei nicht nur auf das Internet beschränken, weil da nur die allerwichtigsten Ereignisse auf Englisch übersetzt zu finden sind. Am besten, man telefoniert schon vorher mit dem Fixer und anderen Kontakten, um einen Eindruck zu bekommen. Menschen sind immer noch die besten Quellen.

Eline Hovhannisjan ist seit 14 Jahren Deutschlehrerin in Gegharkunik im Osten Armeniens. Sie hat im Mai 2019 im Rahmen von Reporterreisen zum ersten Mal als Fixerin und Übersetzerin gearbeitet. Ich habe über das Thema selektive Abtreibung recherchiert. In Armenien werden so viele weibliche Föten abgetrieben, wie in kaum einem anderen Land. Eline Hovhannisjan hat für mich Kontakte geknüpft und übersetzt.

Interview von Luisa Willmann

Eline, du hast zum ersten Mal als Fixerin und Übersetzerin gearbeitet, welche Erwartungen hattest du vor der Arbeit?

Ich hatte anfangs Angst. Meine Kollegin Emma hat mich gebeten für sie einzuspringen, weil sie keine Zeit hatte. Ich habe zu ihr gesagt: Mein Gedächtnis ist nicht für langes Übersetzen geübt, weil Dolmetscherin ist ein ganz anderer Beruf als Lehrerin. Und meine Kollegin Emma sagte: Sprich mit Luisa. Als wir telefonierten, habe ich deine sympathische Stimme gehört, das hat mich bestärkt. Und als ich dich abholen kam, habe ich gemerkt, dass meine Einschätzung richtig war. Du hast viel positive Energie, sodass ich mich während der Arbeit locker fühlte und die Zeit nicht anstrengend war.

Was hat dir an der Arbeit als Übersetzerin / Fixerin gefallen?

Erstens kannte ich das Problem selektive Abtreibung nicht. Jetzt bin ich über dieses Problem informiert. Zweitens war es eine tolle Erfahrung, diese Arbeit zu machen. Und drittens, dass man so viel verdienen kann. In Armenien beträgt die Mindestrente knapp 50 Euro pro Monat. Ich habe 50 Euro pro Tag bekommen.

Wir haben über ein sehr sensibles Thema recherchiert: selektive Abtreibung. Welche Bedenken hattest du?

Ich hätte gedacht, dass niemand mit fremden Personen über das Thema reden möchte. Wir besprechen so etwas mit unseren Eltern, mit der Mutter oder Schwester, nicht mehr. Oder die Freundin muss so eng mit dir sein, so vertraut, dass du auch über solche Geheimnisse mit ihr sprechen kannst. Deswegen hat es mich überrascht, dass uns Ruzanna Kasabian so viel von ihren Erfahrungen erzählt hat.

Wir haben in der Region Gegharkunik mit Ruzanna Kasabian gesprochen. Wir waren drei Stunden bei ihr, es war sehr emotional. Wie war es für dich, das zu übersetzen?

Am Anfang war es leicht, doch als ich ihre Tränen sah, fühlte ich mich traurig, sprachlos. Aber ich musste meine Arbeit machen. Das lange Übersetzen war anstrengend, gleichzeitig war ich stolz.

Du hast mir Zugang zu vielen Menschen verschafft. Zum Beispiel haben wir mit Frauenärztinnen gesprochen. War es schwierig für dich das zu ermöglichen?

Ich hatte mit einer Frauenärztin telefoniert und sie war sofort einverstanden. Bevor wir mit den Ärztinnen sprechen konnten, mussten wir um Erlaubnis beim Chefarzt bitten, aber auch der war auch einverstanden. Die Menschen in Armenien freuen sich oft, wenn wir Gäste aus dem Ausland haben.

Ich konnte auch mit deinen Schülerinnen der neunten Klasse kurz über selektive Abtreibung sprechen. Wie so oft im Journalismus, hatte ich leider wenig Zeit. Ich habe mich gefragt, ob es richtig ist, so „reinzuplatzen“ und mit deinen Schülerinnen über ein Thema zu sprechen, über das du noch nicht mit ihnen geredet hast, über das ihr generell nicht in der Schule gesprochen habt.

Du hat es super gemacht. Du hast gefragt, ob die Schülerinnen Geschwister haben und sie haben erzählt. Und du bist nicht tiefer eingedrungen, das war gut. Die Schülerinnen haben eine Vorstellung vom Problem bekommen und fragen vielleicht zuhause ihre Eltern.

Ich bin als deutsche Journalisten in Armenien und recherchiere über das sensible Thema selektive Abtreibung. Wie ist das für dich?

Für mich ist das völlig in Ordnung. Doch ich wollte, dass du auch die Gastfreundschaft der Menschen erlebst, damit du Armenien nicht nur mit deinem Thema verbindest. Ich bin mir sicher, dass du dich erst an diese Dinge erinnern wirst und dann an die selektive Abtreibung.

Wirst du in Zukunft über selektive Abtreibung sprechen?

Ich habe darüber schon ein wenig nachgedacht, weil ich oft Elternabende habe, wo nur Mütter sind und keine Väter. Das ist eine schöne Möglichkeit für mich, das Gespräch anzufangen. Ja, das werde ich machen.

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