In den Dörfern der Ararat-Ebene nisten hunderte Weißstörche. Die Menschen dort haben eine besondere Beziehung zu den Vögeln.
Von Theresa Tröndle, Friederike Oertel und Tim Kalvelage
Jedes Jahr im Frühling beginnt in Surenavan, einem Dorf rund 60 Kilometer südlich von Jerewan, das große Klappern. Dann suchen dutzende Storchenpaare ihre Nester auf. Auf fast allen Strommasten in Surenavan haben Weißstörche zentnerschwere Konstruktionen aus Zweigen errichtet. Angezogen werden die Störche von den Armash-Fischteichen und den umliegenden Feuchtgebieten in der Ararat-Ebene. Hier finden sie reichlich Nahrung – Frösche, Fische, Insekten –, um ihren Nachwuchs großzuziehen.

In Surenavan ist man stolz auf die Vögel – und kümmert sich um sie: Die Dorfbewohner protokollieren die Ankunft der Störche sowie deren Bruterfolg und päppeln Küken auf, die aus dem Nest fallen. Als „Citizen Scientists“, Bürgerwissenschaftler, helfen sie Forschern, die Storchenpopulation und deren Lebensraum zu überwachen. 2006 rief der Vogelexperte Dr. Karen Aghababyan mit Kollegen von der American University of Armenia das Projekt „Nest Neighbors“, Nestnachbarn, ins Leben, um den Zustand der Feuchtgebiete in Armenien zu bestimmen. Vor allem während der Sowjet-Ära waren diese stark geschrumpft, weil sumpfige Gebiete zur Gewinnung von Ackerland trockengelegt wurden.
Also kam man auf die Idee mit den Störchen: „Der Weißstorch steht an der Spitze der Nahrungskette und ist ein Indikator dafür, wie Ökosysteme und Artenvielfalt durch Verschmutzung beeinträchtigt werden“, erklärt Aghababyan, der heute für die NGO BirdLinks arbeitet. Störche sind zudem einfach zu überwachen, weil sie ihre Nester in der Nähe des Menschen baut. Die Forscher kartierten sämtliche Storchennester in Armenien und verteilten anschließend Fragebögen in Form eines Kalenders an die Dorfbewohner. Sie sollten Buch führen über ihre gefiederten Nachbarn: Wann begannen die Störche zu brüten? Wann wurde der Nachwuchs flügge? Besondere Vorkommnisse?
„Anfangs hielt sich die Euphorie in Grenzen“, sagt Aghababyan. „Heute bekommen wir hunderte Anrufe im Jahr von besorgten Nestnachbarn, etwa weil sich ‚ihre Störche’ streiten.“ Den Menschen sind die Störche ans Herz gewachsen. Zudem wissen sie durch das Projekt, das intakte Feuchtbiotope wichtig sind. „Früher waren das für die Armenier lediglich Brutstätten für Moskitos“, so Aghababyan. Die Gegend rund um die Armash-Fischteiche gilt heute als Biodiversitäts-Hotspot. Statt, dass Vögel hier geschossen werden, locken die Störche und unzählige andere Arten nun Touristen an.